Helikoptereltern im Krankenhaus
Sie fahren wegen Lappalien in die Notaufnahme, sie finden es okay, wenn ihr Kind Zahnarzthelferinnen beißt, und sie verbieten Spritzen, weil ihr Schatzi die nicht mag: Geschichten von irren Eltern beim Arzt.
Von Lena Greiner und Carola Padtberg
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Physio, Ergo, Sprache: Rund ein Viertel der Kinder im Einschulungsalter sind in Therapie, das zeigt der AOK-Heilmittelbericht aus dem Jahr 2016. Das bedeutet: Fast jeder dritte Junge und jedes fünfte Mädchen sind nicht normal entwickelt. Im Vergleich zu 2003 ist das eine Zunahme von mehr als 40 Prozent.
Das kann entweder daran liegen, dass es tatsächlich mehr auffällige Kinder gibt, oder es liegt daran, dass die Eltern auffälliger werden. Und dass es Ärzte gibt, die schneller als früher Therapien verschreiben. Vermutlich ist es eine Mischung aus allem.
Dass die Eltern auffälliger werden, belegen die Berichte von Ärzten, Pflegern und anderen Eltern über Mütter, die ihre Kinder wegen Schluckbeschwerden oder Unwohlsein in die Notaufnahme schleppen und sich dann noch aufregen, wenn andere Kinder mit Verbrennungen vorgezogen werden.
Und über Eltern, die ganz offensichtlich nicht mehr wissen, was wirklich wichtig beziehungsweise gefährlich ist, und die durch ihre eigene Aufregung ihr Kind während einer Behandlung so verrückt machen, dass die Ärzte sie des Raumes verweisen müssen, um ein Ärmchen verbinden zu können. Oder die für ihr Kind eine Vollnarkose anstelle einer Spritze verlangen - weil der Kleine doch keine Pikser mag.
Am besten künstliches Koma
"Zu uns kam ein Junge, fünf oder sechs Jahre alt, mit einer kleinen Schnittwunde am Arm, die genäht werden musste. Bei Kindern gehen wir immer sehr behutsam vor. Aber allein die Spritze zur Betäubung war mit den anwesenden Eltern nahezu unmöglich. Anstatt Ruhe auszustrahlen, haben sie alles hinterfragt.
Das Kind spürte natürlich die Unsicherheit der Eltern, schrie wie am Spieß und wehrte sich mit Händen und Füßen, sodass zwei Schwestern ihn nicht halten konnten und wir die Anästhesie zunächst abbrechen mussten.
Nachdem sich alle beruhigt hatten, versuchten wir es mit einem Anästhesie-Pflaster, das dann später mit einer Spritze kombiniert werden sollte. Plötzlich fragten jedoch die Eltern, ob man nicht eine Vollnarkose im OP machen könnte. Daraufhin baten wir sie, kurz den Raum zu verlassen - erst dann konnte ich endlich die kleine Wunde mit zwei Stichen nähen."
Selbstverständlich ist es für Eltern schwierig, ruhig zu bleiben, wenn ihr Kind sich verletzt hat, leidet und vor Schmerzen schreit. Dass sie in einem solchen Moment besorgt sind, ist klar. Doch dass sie aufgeregter sind als die Kinder, ist erstens nicht nötig, zweitens das Gegenteil von guter Vorbildwirkung und drittens sogar echt kontraproduktiv, wie die geplagten Ärzte und Pfleger bestätigen.
"Die Tür zur Notaufnahme öffnet sich, und wie immer blicke ich zu Dienstbeginn in einen überfüllten Wartebereich mit verschnupften, hustenden und spielenden Kindern. Ich sehe Mütter, die in Gruppen zusammenstehen und lauthals schimpfen, wie lange sie schon warten. Und Kinder, die fröhlich singen. Ich frage mich, was für ein Notfall sie herführt."
So beginnt der Erfahrungsbericht einer Kinderkrankenschwester, den sie zunächst bei Facebook und dann bei SPIEGEL ONLINE veröffentlicht hat und der viel Aufmerksamkeit erregte.
Darin berichtet sie unter anderem von einer Mutter, die "sichtlich besorgt und überfordert" mit ihrem achtjährigen Sohn in die Notfallambulanz kam, weil er seit dem Vormittag Erbrechen und Durchfall hatte. Sie habe überlegt, der Mutter zu sagen, sie solle mit ihrem Sohn doch lieber nach Hause fahren und ihn ins Bett stecken, damit er in Ruhe seinen Virus auskurieren könne. "Aber ich weiß, dass solch eine Empfehlung nach hinten losgehen kann", so die Krankenschwester.