Die Welt schuldet euch nichts!
Kein Geld, kein Glück, keine Sonne im Urlaub. Und doch gibt es viel zu viele, die mit penetranter Anspruchshaltung durchs Leben trampeln.
Von Meike Winnemuth
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Es gibt im Englischen ein schönes, leider ziemlich unübersetzbares Wort: entitlement. Anspruchsberechtigung, das trifft es meistens. Entitlement meint aber auch die weitverbreitete Haltung, ohne die geringste Berechtigung zu finden, es stehe einem etwas zu. Man habe ein Recht auf etwas. Man verdiene es, verdammt noch mal. Glück, Geld, Aufmerksamkeit, schönes Wetter, billiges Fleisch, freie Verfügung über die linke Autobahnspur, Clementinen ohne Kerne.
Entitlement lässt sich besonders schön im öffentlichen Nahverkehr beobachten ("Ist hier frei?" – "Nein, hier sitzt schon meine Tasche"), an Büfetts in Höhe der Meeresfrüchte oder bei SUV-Fahrern, die glauben, diese komischen Striche auf Parkhausböden bedeuten, dass sie sich genau da drauf stellen sollen. Weitere Gefährdete: Muttis kleine Lieblinge, goldene Kälbchen, um die jahrelang herumgetanzt wurde, denen erfolgreich eingetrichtert wurde, wie besonders sie sind. Leider werden die irgendwann erwachsen und dann unweigerlich zu den Männern auf Platz 1C im Flugzeug, die immer schon da sitzen, obwohl sich die Maschine sinnvollerweise von hinten nach vorn füllen sollte.
Veränderung? Zumutung!
Es steht mir zu. Mit welchem Recht? Mit dem Recht des Stärkeren, des Unverschämteren, des Skrupelloseren, des Gedankenloseren. Das hat oft mit Macht zu tun, aber zunehmend einfach nur mit Selbstermächtigung. Ich habe es verdient: weil ich schon so alt bin, weil ich noch so jung bin, weil ich ein Mann bin, weil ich eine Frau bin. Ich darf das, denn ich bin ja ich, und ich bin die Ausnahme von der Regel – das ist grob das Argumentationsmuster. Leute, die sich entitled fühlen, verwenden überproportional oft das Wort "gefälligst". Es habe gefälligst dieses und jenes zu geschehen. Die da oben sollen gefälligst jetzt endlich mal … (es folgt eine Aufzählung von Dingen, die verblüffenderweise alle im Interesse des Sprechers sind).
Wenn die Welt es wagt, sich ohne ihre ausdrückliche Zustimmung weiterzudrehen oder gar eine andere Richtung als die erwünschte einzuschlagen, werden sie unwirsch. Wie der englische Schriftsteller Douglas Adams so richtig bemerkte: "Alles, was da ist, wenn man geboren wird, hält man für selbstverständlich und normal. Alles, was erfunden wird, nachdem man 35 geworden ist, ist ein Angriff auf die natürliche Ordnung der Dinge." Deshalb gibt es Titelgeschichten über Internetabhängigkeit, nicht aber über Auto- und Elektrizitätsabhängigkeit. Veränderung? Zumutung.
Menschen, die sich entitled fühlen, sind immer Opfer. Die Welt ist ungerecht. Zu ihnen. Sie kommen immer zu kurz. Dieses Phänomen zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten, benachteiligt wähnen sie sich alle, ob besorgte Bürger oder Millionäre, die nicht Milliardäre sind. Pegida oder Panama ist fast schon egal: Die Welt ist so fies zu mir, also mache ich meine eigenen Regeln.
Massenphänomen Frustrationsintoleranz
Wieso ist das so, woher stammt die fehlende Frustrationstoleranz, wenn es mal nicht nach der eigenen Nase läuft? Wie wurde aus tatsächlichen und berechtigten entitlements unserer Gesellschaft – dem Recht auf Menschenwürde, auf Solidarität, auf Geduld, auf Nachsicht, auf Sozialleistungen – diese unerklärliche Anspruchshaltung des Einzelnen? Du kannst alles werden. Alles haben. Alles erreichen. Die Welt schuldet dir das.
Nein, das tut sie nicht. Die Welt schuldet dir nicht das Geringste. Keine Sonne im Urlaub, keinen Sitzplatz in der U-Bahn, kein Ticket für die Elbphilharmonie, keine Modelkarriere, keine Spontanheilung, keine Liebe. Wenn du dein Glück davon abhängig machst, machst du auch dein Unglück davon abhängig. Das aller anderen ja sowieso.