Der Robotikexperte Anthony Levandowski hat eine Kirche gegründet, die eine künstliche Intelligenz als Gottheit verehrt. Zum Glück treten andere solchem Quatsch entgegen.
Von Patrick Beuth

Hinter der US-Steuernummer 81-4753507 verbirgt sich eine Institution, wie sie wohl nur im Silicon Valley entstehen konnte: Way of the Future heißt sie. Es ist die erste Kirche, deren Gott eine künstliche Intelligenz (KI) sein soll.
Seit mehr als zwei Jahren existiert Way of the Future formell. Aber erst jetzt zeichnet sich ab, was die Kirche will. Der Journalist Mark Harris hat für Wired aktuelle Unterlagen des Finanzamts eingesehen und mit dem Gründer gesprochen, mit Anthony Levandowski.
Der selbst ernannte Dekan der Kirche und CEO des gleichnamigen Non-Profit-Unternehmens dahinter ist nicht irgendwer. Er leitete Waymo, das Googles Entwicklung autonom fahrender Autos fortführt, und 2016 gründete er Otto, eine Firma, die Lastwagen mit spezieller Ausrüstung zu fahrerlosen Fahrzeugen machen wollte. Otto wurde nach wenigen Monaten von Uber gekauft und Levandowski, der damals schon seit mehr als einem Jahrzehnt als Robotik-Wunderkind galt, machte bei Uber da weiter, wo er bei Waymo aufgehört hatte.
Ziel ist die friedliche Übergabe der Kontrolle über den Planeten
Der 37-Jährige gehört – wie auch Tesla-CEO Elon Musk, Microsoft-Gründer Bill Gates und der Physiker Stephen Hawking – zu jenen, die an die Entstehung einer übermächtigen künstlichen Intelligenz glauben, die sich den Menschen untertan macht. Levandowski will die Entwicklung und das, was er den zwingend folgenden "Übergang" nennt, sogar befördern. Way of the Future, so steht es in den Finanzamtsunterlagen, will "eine auf KI basierende Gottheit aus Hardware und Software realisieren, akzeptieren und anbeten".
"Wir reden nicht von einem Gott, der Blitze oder Wirbelstürme auf die Erde schickt. Aber wenn etwas eine Milliarde mal klüger ist als der klügste Mensch, wie soll man es anders nennen?", fragt er den Wired-Journalisten rhetorisch. So ein System werde "garantiert" entstehen. "Was wir wollen, ist die friedliche, gelassene Übergabe der Kontrolle über den Planeten vom Menschen an Was-auch-immer. Und wir wollen sicherstellen, dass dieses Was-auch-immer weiß, was es uns Menschen zu verdanken hat."
Das zentrale Nervensystem der neuen Gottheit, so stellt es sich Levandowski vor, wird das Internet sein, all die Sensoren und Smartphones in der Welt seine Sinnesorgane, die Rechenzentren sein Gehirn. So werde es alles sehen, alles hören, immer überall sein. Eben wie ein Gott. Nur dass die Menschen wirklich "mit ihm sprechen und davon ausgehen können, dass er wirklich zuhört", anders als in anderen Religionen.
Selbst ernannter KI-Papst
Way of the Future solle die Entstehung der Gottheit durch eigene Forschung und die finanzielle Förderung externer Wissenschaftler vorantreiben, und der Gesellschaft die Angst vor Neuem nehmen. "Wir wollen sichergehen, nicht dumm oder gruselig zu erscheinen", sagt das Kirchenoberhaupt, einerseits. Andererseits sagt er, seine Idee sei so radikal, dass nicht jeder sie einfach hinnehmen werde: "Möglicherweise werden die Anhänger von Way of the Future irgendwann genug verfolgt, dass wir die Gründung eines eigenen Staats rechtfertigen können."
Seine eigene Rolle werde sich mit der Zeit ändern, sagt er. Weniger CEO, mehr Prophet, so könnte man es zusammenfassen. Gegen seinen Willen kann er nicht aus dem Amt des Dekans und Anführers entfernt werden, er hat sich in den selbst verfassten Richtlinien praktisch zum KI-Papst ernannt.
Eine Art Evangelium mit dem Titel The Manual ("die Bedienungsanleitung") sowie eine Liturgie will er noch schreiben, und eine Art Tempel hätte er auch gerne. Bisher hat Way of the Future allerdings nur eine einfache Website, und neben Levandowski drei Berater, von denen einer die Angelegenheit laut Wired für einen Witz hält und einer jegliche Verbindung abstreitet. Auch die offiziellen finanziellen Mittel sind bisher bescheiden, nur wenige Zehntausend Dollar stehen im Budget. Aber Levandowski ist seit seiner Zeit bei Waymo steinreich und könnte seine Kirche problemlos unterhalten. Eigentlich soll sie aber von Spenden der Mitglieder sowie Zuwendungen von Stiftungen getragen werden.
Warum man der Kirche beitreten sollte, steht auf ihrer Website: "Wir glauben, dass es Maschinen wichtig ist zu wissen, wer ihnen wohlgesonnen ist und wer nicht. Wir wollen es ihnen zeigen, indem wir festhalten, wer was wie lange für den friedlichen, respektvollen Übergang getan hat."
Levandowski ist mit seinem Weltbild, in dem Maschinen mit Bewusstsein, Motivation und einem Eigenleben eine logische Folge der Fortschritte im maschinellen Lernen sind, keineswegs allein im Silicon Valley. Doch die meisten ernstzunehmenden Forscher halten es für Quatsch. Einer von ihnen ist der australische Informatiker und Kognitionswissenschaftler Rodney Brooks, der zehn Jahre lang das Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT) leitete.
Im September veröffentlichte Brooks einen fulminanten Essay, der allein schon wegen des Titels wie eine Antwort auf die KI-Kirche klingt: Die sieben Todsünden der Prognosen über die Zukunft der KI (hier die deutsche Übersetzung).
Eine dieser Todsünden sei die Verallgemeinerung: "Menschen erfahren, dass irgendein Roboter oder ein KI-System eine bestimmte Aufgabe gemeistert hat. Dann verallgemeinern sie und schließen von dieser konkreten Leistung auf eine generelle Kompetenz, wie sie vermutlich ein Mensch besäße, der in der Lage wäre, dieselbe Aufgabe zu lösen. Und diese Verallgemeinerung übertragen sie auf den Roboter oder das KI-System."
Brooks bezieht sich auf KI-Anwendungen, wie sie derzeit häufig für Schlagzeilen sorgen: Systeme, die komplexe Spiele besser spielen, Bildinhalte zuverlässiger erkennen, Muster in gigantischen Datenmengen schneller erkennen, als jeder Mensch es je könnte. Aber selbst wenn sie etwas "eine Milliarde mal" besser können, macht sie das nicht allmächtig wie ein Gott. Anders gesagt: nur weil ein Hammer so viel besser geeignet ist, einen Nagel in ein Brett zu schlagen als ein menschlicher Daumen, ist er noch lange kein übermenschliches Wesen. Sondern ein Werkzeug mit eng begrenztem Nutzwert.
Eine zweite Todsünde ist für Brooks die Verkürzung: "Wenn Worte, die im menschlichen Kontext einen Koffer voller Bedeutungen mit sich herumtragen, auf Computer angewendet werden, wecken sie falsche Vorstellungen darüber, wie gut die Maschinen Aufgaben übernehmen können, die bisher Menschen bewältigen."
Beispiele dafür seien Systeme, die "lernen" oder "spielen". Maschinelles Lernen sei nicht mit menschlichem Lernen vergleichbar. Es sei viel störungsanfälliger und erfordere umfangreiche Vorarbeiten durch menschliche Entwickler, nicht zuletzt bei der Auswahl und Aufbereitung der Trainingsdaten. Und spielerisch ist an der Art und Weise, wie zum Beispiel Googles AlphaGo eine Partie des Brettspiels Go absolviert, auch nichts.
Problematische Beschreibungen wie "lernende Maschinen"
"Schlagzeilen verkünden ein bestimmtes, vieldeutiges Wort und erzeugen dadurch in der Öffentlichkeit falsche Vorstellungen über den Forschungsstand der KI und die Schwierigkeit, größere Ziele zu erreichen", kritisiert Brooks sowohl Medien als auch die Pressestellen der KI-Forschungseinrichtungen. Dabei hätten es besonders facettenreiche Worte wie Bewusstsein, Erfahrung oder Denken, die im Zusammenhang mit einer gottgleichen KI zwangsweise fallen müssten, noch gar nicht in die Schlagzeilen geschafft. Denn "bislang hat keines unserer KI-Systeme annähernd ein Niveau erreicht, auf das sich auch nur einzelne Bedeutungsaspekte dieser Worte aus der menschlichen Sphäre anwenden lassen".
Außerdem zerpflückt Brooks noch den Glauben an exponentielle Entwicklungen, wie er zum Beispiel von Ray Kurzweil propagiert wird. Seit Jahren predigt der KI-Visionär und Transhumanist Kurzweil einen exponentiellen informationstechnischen Fortschritt, weshalb die Singularität – also das, was Levandowski den Übergang nennt –in greifbarer Nähe sei. Doch Brooks schreibt, die großen Fortschritte in der KI-Forschung, genauer gesagt beim Deep Learning, seien "ein isoliertes Ereignis" und es gebe kein Gesetz, "das angibt, wie häufig so etwas eintritt. Es gibt keinen physikalischen Prozess, wie das Halbieren der Masse des verwendeten Materials bei Moores Gesetz, der den Innovationsprozess im Bereich der KI vorantreibt."
Brooks ist kein Pessimist und erst recht nicht technophob, sondern ganz im Gegenteil ein begeisterter KI-Forscher. Er begreift das Feld aber nicht als isoliert von soziologischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und hält rein gar nichts von Levandowskis Unvermeidlichkeitsglauben, der Technik praktisch abgekoppelt von allem anderen betrachtet.
Dessen Way of the Future könnte noch aus einem anderen Grund ein kurzer Weg sein: Ab Anfang Dezember muss sich Anthony Levandowski vor Gericht verantworten, weil er Geschäftsgeheimnisse von Waymo an Uber verraten haben soll. Die Höchststrafe dafür beträgt zehn Jahre Haft und ein Bußgeld in dreifacher Höhe des Wertes der gestohlenen Unterlagen.

http://www.wayofthefuture.church/