dumme Kommentare schreiben
40 Prozent der Deutschen sind nicht in der Lage, Texte zu verstehen, die sprachlich über dem Grundschulniveau liegen.
ein Bericht von Christoph Sackmann
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Beginnen wir diesen Text mit einem Geständnis: Wenn ich mir die Kommentare unter meinen Artikeln vorlese, erschrecke ich jedes Mal aufs Neue. Weniger wegen wiederkehrender Anfeindungen bis hin zu offenen Beleidigungen gegen mich oder die Personen in meinen Texten - sondern wegen der sprachlichen Qualität der Kommentare.
Sie können es nicht besser
Da werden einfachste Wörter so falsch geschrieben, dass man sie einem Erstklässler um die Ohren hauen würde. Inhaltlich wirken viele Kommentare so, als hätte der Verfasser nicht mehr als die Überschrift gelesen (was leider oft auch stimmt) oder aber absolut nicht verstanden, was in dem Artikel stand. Das trifft besonders dann zu, wenn ich in einem Text Argumentationsstrukturen aufbaue, denen Ihr als Leser zumindest gedanklich folgen müsst - egal, ob Ihr hinterher der gleichen oder einer anderen Meinung seid.
Dass dies vielen Menschen offensichtlich nicht gelingt - wenngleich Kommentarschreiber nur einen Bruchteil der Leser eines Artikels ausmachen - fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Dabei gibt es dafür eine ganz simple Erklärung: Sie können es einfach nicht besser.
20 Millionen Menschen sind nur auf Grundschulniveau
Die Universität Hamburg hat bis 2013 die so genannte Level-One-Studie durchgeführt. Darin sollte getestet werden, wie viele Menschen in Deutschland eigentlich Analphabeten sind und wie viele, selbst wenn sie theoretisch lesen und schreiben können, durch mangelnde Kenntnisse in ihrem Lebensalltag eingeschränkt sind.
Denn unsere Gesellschaft ist auf Texten aufgebaut. Wer meine Artikel nicht versteht, kann trotzdem glücklich sein. Wer aber mit zahlreichen Formularen, schriftlichen Anweisungen und offiziellen Briefen nicht klarkommt, der hat ein Problem.
Und die Uni Hamburg fand erschreckende Zahlen. Rund 40 Prozent der Deutschen sind nicht in der Lage, Texte zu verstehen, deren sprachliche Komplexität über das Grundschulniveau hinausgeht. Anders ausgedrückt: Die kleine Raupe Nimmersatt verstehen diese Menschen - bei Harry Potter hakt es hingegen schon.
Diese 40 Prozent der erwachsenen Deutschen sind eine Masse von über 20 Millionen Menschen. Sie unterteilen sich in 2,3 Millionen Menschen, die entweder komplette Analphabeten sind oder maximal Wörter, aber keine ganzen Sätze lesen können, rund 5,2 Millionen Menschen, die nur kurze Sätze lesen können, aber keine ganzen Texte und rund 13,3 Millionen Erwachsene, deren Lese- und Schreibkompetenz eben nicht über das Grundschulniveau hinausgeht.
Alter und Herkunft spielen kaum eine Rolle
Das hat übrigens nichts mit dem Alter zu tun (wenngleich jüngere Jahrgänge leicht besser abschnitten) und auch nicht mit der Herkunft. Menschen mit Migrationshintergrund sind zwar überproportional häufig unter den Problemfällen, gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung, doch getestet wurden nur Menschen, die Deutsch mündlich so gut beherrschten, dass sie eine Befragung und einem Test standhielten.
Die OECD hat im Rahmen ihrer PIAAC-Studie das Lese- und Schreibniveau international getestet und verglichen. Dabei ist die Einteilung der Probanden in Leseklassen eine andere, aber durch die Bank zeigt sich, dass die Deutschen maximal durchschnittlich in ihren Kompetenzen sind. Länder wie Japan oder Finnland führen hier die Studie an.
Lesen lernen wird stigmatisiert
Zudem sind Leseprobleme "vererbbar". Wer in einem Haushalt aufwächst, in dem bereits die Eltern auf einem geringen Niveau sind, wird dieses häufig nicht nach oben hin verlassen. Kinder aus solchen Umfeldern haben oft schon in den ersten Schuljahren Probleme, wenn es darum geht, Schrift und Sprache zu erlernen. Blöderweise sieht unser Schulsystem für diese Kinder aber keinen Förderunterricht in späteren Schuljahren mehr vor. Oder anders gesagt: Wer als Sechsjähriger nicht richtig lesen und schreiben lernt, muss mit diesen Defiziten sein ganzes Leben verbringen.
Weil Lesen und Schreiben aber als so basale Fähigkeiten bei uns gelten, scheuen Menschen mit Probleme eben die Herausforderung und lesen eben keine zu komplizierten Texte - wodurch sie sich auch nicht durch "Training" verbessern könnten.
Außerdem besuchen sie als Erwachsene nur sehr selten Alphabetisierungskurse, bei denen ihnen geholfen werden könnte, hat etwa die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) herausgefunden. Von den 7,5 Millionen oben erwähnten funktionalen Analphabeten besuchen demnach nur maximal 20.000 einen Weiterbildungskurs.
Wer schlecht liest, kriegt auch einen schlechten Job
Geringe Lese- und Schreibfähigkeiten sind aber auch ein Hindernis im Jobleben. Menschen mit höherem Niveau finden sich auch häufiger in besser bezahlten Jobs - weil ihre Konterparts eben Jobs suchen, in denen Lesen und Schreiben nicht so wichtig ist. Das sind aber meistens schlecht bezahlte Industriearbeiten. Hier ist zudem der Anteil von Teilzeit-, Leiharbeit oder befristeten Arbeitsverhältnissen höher, was wiederum den Stress auf diese Leute erhöht.
Um diesem Problem zu begegnen, wäre es nach Ansicht der BpB wichtig, die Lesekompetenz allgemein zu fördern. Alphabetisierungskurse für Erwachsene, die etwa das Bundesministerium für Bildung stark unterstützt ("Schreib' Dicht nicht ab!"), dürften dabei aber wenig helfen. Schließlich besuchen nur die wenigsten funktionalen Analphabeten einen solchen Kurs und Menschen, die lesen können, helfen solche Kurse kaum.
Deswegen appelliert die BpB an die Länder: Sie müssten mehr Lehrer und Räume zur Verfügung stellen, um leseschwache Kinder schon in der Grundschule zu identifizieren und entsprechend durch extra Unterricht zu fördern. Gleichzeitig müssten deren Eltern unterstützt werden - da Leseschwächen wie erwähnt weitergegeben werden, könnte so präventiv gearbeitet werden.