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Was passiert, wenn Nutzer fälschlicherweise Inhalte melden?
Niemand muss Sanktionen befürchten, wenn er legale Inhalte als strafbar meldet. "Konsequenzen für ungerechtfertigtes Melden von Inhalten sind im NetzDG nicht vorgesehen", sagt eine BMJV-Sprecherin. Im Umkehrschluss bedeutet das: Es gibt keine Maßnahmen, um Missbrauch vorzubeugen.
Wer weiß, wie sich Linke und Rechte bereits jetzt "Meldeschlachten" liefern und sich gegenseitig anzeigen, ahnt, dass sie das NetzDG nutzen werden, um der Gegenseite zu schaden. Im Zweifel gilt: Viel hilft viel, irgendein Facebook-Mitarbeiter wird früher oder später schon auf "Löschen" klicken. Angesichts der Masse der Beschwerden sind Fehler unausweichlich. Facebook sagt nur, dass es sich auf "Herausforderungen" einstelle, die mit dem NetzDG verbunden seien.
Wie prüfen die Netzwerke die Inhalte?
Das schreibt das NetzDG nicht vor. Es zählt das Ergebnis, nicht das Vorgehen. Facebook wird beispielsweise seine Content-Moderatoren mit der Prüfung beauftragen. Die Drittfirmen Arvato und Competence Call Center beschäftigen in Berlin und Essen mehr als tausend Mitarbeiter, die im Auftrag von Facebook Inhalte prüfen und löschen. Sie sollen vom sogenannten Community Operations Team unterstützt werden. Dessen Mitglieder sind direkt bei Facebook angestellt und meist besser geschult als die oft nur notdürftig qualifizierten Content-Moderatoren.
Immer wieder begehen die Lösch-Teams Fehler, zensieren legale Inhalte oder sperren unschuldige Nutzer. Vielen ergeht es wie Mike Samuel Delberg, der das antisemitische Video auf Facebook veröffentlichte - allerdings offensichtlich nicht, um sich die mutmaßliche Volksverhetzung zu eigen zu machen, sondern um sie zu dokumentieren. Facebook-Sprecher verweisen dann meist auf bedauerliche Fehlentscheidungen, die sich angesichts Hunderttausender gemeldeter Beiträge pro Woche kaum vermeiden ließen.
Die Netzwerke können die Sieben-Tages-Frist überschreiten, wenn sie die Prüfung an eine sogenannte Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung abgeben. Diese Einrichtungen müssen zuvor vom BfJ anerkannt werden. So hat Facebook etwa die Großkanzlei Freshfields benannt, um besonders schwierige Fälle von unabhängigen Juristen prüfen zu lassen. Die Einrichtungen enthalten ihr Honorar direkt von den Unternehmen, die sie beauftragen. Von Seiten des BMJV fließt kein Geld.
Was sind die zentralen Kritikpunkte am NetzDG?
Seit Heiko Maas im Frühjahr den ersten Entwurf vorstellte, steht das NetzDG unter Beschuss. Zwar wurden einige handwerkliche Fehler der ursprünglichen Version korrigiert, nach Ansicht vieler Experten könnte aber auch das nun in Kraft getretene Gesetz gegen die Verfassung verstoßen. Diese Ansicht äußerten etwa Sachverständige bei Anhörungen im Bundestag, darunter mehrere Juristen sowie die Branchenverbände eco und Bitkom. Auch Reporter ohne Grenzen und der Deutsche Journalistenverband kritisieren das NetzDG scharf.
"Mit dem NetzDG verletzt der Staat seine Pflicht zur Neutralität im Meinungswettbewerb. Das berührt eine ganz wesentliche Grundlage unserer Demokratie", sagt Rechtsanwalt Simon Assion, der sich für den Deutschen Anwaltsverein mit dem NetzDG beschäftigt hat. Er fürchtet, dass die Politik Zensur ausüben könnte: "Es ist durchaus möglich, dass die Staatsspitze direkten Einfluss nimmt. Das Bundesjustizministerium hat Zugriff darauf, wie soziale Netzwerke ihre Löschmechanismen umsetzen."
Ein weiterer Kritikpunkt sind die kurzen Löschfristen. 24 Stunden seien deutlich zu kurz, um Beiträge juristisch angemessen zu prüfen. Deshalb "werden soziale Netzwerke aus Angst vor Bußgeldern zu viele Inhalte löschen", sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Er befürchtet sogenanntes Overblocking. Das Gesetz sieht Bußgelder nur für Netzwerke vor, die rechtswidrige Inhalte stehen lassen. Im Zweifel entscheiden sich Anbieter also fürs Löschen - wer zu viele Inhalte entfernt, muss schließlich keine Sanktionen fürchten.