Rechtspopulisten haben Fake-News nicht erfunden. Schon seit Jahrzehnten steuern Energiekonzerne und konservative Medien eine Desinformationskampagne – um Zweifel am Klimawandel zu säen.
Von Maximilian Probst und Daniel Pelletier
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Tornados, Brände, Dürren, Überflutungen von historischen Ausmaßen: Das Wetter spielt unübersehbar verrückt. Doch gerade jetzt, wo die Weltgemeinschaft endlich den globalen CO₂-Ausstoß senken müsste, um die Klimaerwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, spielt auch die Politik verrückt. Russland unter Putin hat sich bereits weitgehend von demokratischen Standards und internationaler Kooperation verabschiedet, die USA unter Trump und andere Länder, in denen der Rechtsnationalismus blüht, sind dabei zu folgen.
Ist das zeitliche Zusammentreffen dieser historischen Bedrohungen – der weltweite Affront gegen die Demokratie und die zunehmende Klimaerhitzung – reiner Zufall? Nein. Nur leider werden sie bisher kaum zusammen gelesen. Tatsächlich sind das globale Versagen, Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe zu ergreifen, und der erstarkende Rechtsnationalismus zwei Seiten derselben Medaille. Beide sind nicht ohne einen seit Jahren tobenden Informationskrieg zu verstehen. Dieser Krieg begann in Amerika mit den Desinformationskampagnen, die den menschlichen Ursprung der Klimaerwärmung bestritten. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand er mit den russischen Fake-News-Kampagnen zugunsten Donald Trumps im amerikanischen Wahlkampf.
Es ist ein Krieg, der sich gegen die liberale Öffentlichkeit wendet und eiskalt deren Schwäche ausnutzt: den Glauben an die Gültigkeit des besseren Arguments. Aber Argumente können nichts ausrichten, wenn sich deren Adressaten längst vom Diskursfeld gemacht haben und nun mit heruntergelassenem Visier der liberalen Öffentlichkeit in den Rücken fallen. Wie kommen wir aus dieser historisch katastrophalen Lage wieder heraus? Indem wir versuchen, möglichst genau zu verstehen, wie wir in sie hineingeraten sind.
Wie funktioniert Manipulation?
Die Voraussetzungen für den heutigen Informationskrieg werden in den siebziger Jahren geschaffen. Damals macht die alte Industriegesellschaft in den Ländern des Westens einem neuen Gebilde Platz: der Kommunikationsgesellschaft. Der Sozialtypus des Arbeiters, der noch selber Hand anlegt, hat ausgedient. In der neuen Gesellschaft wird die Arbeit vom Körper ins Reich der Zeichen verlegt; in zunehmenden Maße basiert die Wertschöpfung auf der Produktion, dem Austausch und der Auswertung von Information und Wissen. In diesem Zuge lösen sich die alten, historisch gewachsenen Bindungen auf. Das vormals durch die Fabrik, Gewerkschaften, Vereine und Parteien in die Gesellschaft eingegliederte Individuum muss nun selbst sehen, wie es inmitten der anschwellenden Informationsflut neue Bindungen aufbaut.
Die liberale, aus der Zeit der Aufklärung stammende Vorstellung geht davon aus, dass sich die Subjekte der Kommunikationsgesellschaft durch Bildung und autonomes, vernunftgeleitetes Nachdenken im Wust der Informationen orientieren können. Das wird allerdings schwieriger, je mehr Information im Umlauf ist. Deshalb muss nach liberaler Sicht die Bildungsbemühung stets mit dem Anwachsen der Information Schritt halten. Dieser Vorstellung steht eine andere entgegen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts formuliert wird und mit der Entwicklung des Computers ausreift: dass nämlich die Subjekte vor allem Mitläufer sind, die ihre Meinung nicht von Argumenten abhängig machen, sondern von ihrem Umfeld; und dass sie häufig in berechenbarer Weise auf von außen kommende Impulse und Informationen reagieren, nicht viel anders, als es Tiere, Pflanzen und Maschinen innerhalb eines Reiz-Reaktions-Schemas tun.
Nun weiß man seit den sechziger Jahren, dass Massenmedien nicht nur Transportwege sind, über die Inhalte kommuniziert werden. Mehr noch sind sie Umgebungen, in denen wir leben. Will man die Subjekte beeinflussen, muss man diese mediale Umgebung verändern, im Idealfall: eine Echokammer konstruieren, in der die Vielzahl der Stimmen einen gemeinsamen Ursprung kennen und einen gemeinsamen Inhalt haben. Dann erlangen Informationen, auch wenn sie falsch sind, eine Art Stimmigkeit, die es erlaubt, die psychischen und sozialen Verhaltensweisen des Einzelnen in der Kommunikationsgesellschaft weitreichend zu manipulieren.
Die Untätigkeit angesichts der Erderwärmung
Der erste Versuch, eine solche abgeschirmte enge informationelle Umgebung innerhalb der Kommunikationsgesellschaft aufzubauen, sollte sich dann auch bald ergeben. Grob skizziert verläuft die Geschichte so: 1989 liegt der real existierende Sozialismus am Boden, die USA und der Westen könnten optimistisch in die Zukunft schauen – wäre da nicht die Sorge vor dem Klimawandel. Bereits in den achtziger Jahren verdichten sich die Anzeichen, dass sich die Erde durch den CO₂-Ausstoß des Menschen erwärmt. Auf der Weltklimakonferenz 1988 in Toronto sind Politiker und Wissenschaftler gleichermaßen alarmiert: Nur ein globaler nuklearer Krieg, heißt es, bedrohe den Planeten mehr als die Erderwärmung. Zu deren Begrenzung wird unisono "die Notwendigkeit sofortiger politischer Entscheidungen" festgestellt. Im selben Jahr gründet sich, forciert von der konservativen Regierung Ronald Reagans, die Klimaorganisation Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Sie soll Ursachen und Auswirkungen des Klimawandelserforschen und Handlungsoptionen aufzeigen.
In der Bevölkerung ist das Bewusstsein, dass rasch gehandelt werden müsse, weit verbreitet. Erst recht, als nach 1989 die atomare Verwüstung als Bedrohung entfällt und den Blick auf die ökologische Herausforderung freigibt. Wer die liberale Vorstellung von Bildung und fairem Diskurs hegt, kann zwar besorgt, doch zugleich voller Hoffnung nach vorn schauen. In der Wissenschaft ist man sich Anfang der neunziger Jahre weitgehend einig, dass die Erderwärmung menschlich bedingt ist; bereits 1992 verpflichten sich die Industrienationen in Rio, die Treibhausgase zu reduzieren; die Clinton-Regierung versucht 1993, eine Steuer auf fossile Energien durchzusetzen: Es sieht gut aus für die Vernunft. Doch in den folgenden Jahren passiert – nichts. Und dieses Nichts, diese Untätigkeit angesichts der Erderwärmung, ist der erste große Sieg in einer Schlacht, die sich mittlerweile zu einem 30-jährigen Informationskrieg ausgeweitet hat.
Die eigentlichen Feldherren dieses Krieges sind die global agierenden Öl- und Kohle-Unternehmen. Sie fühlen sich nicht vom Klimawandel bedroht, sondern von den Klimaschutzmaßnahmen zur Reduzierung von CO₂-Emissionen. Dabei weiß die Ölindustrie schon seit den siebziger Jahren um den wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Erderwärmung und CO₂-Ausstoß. Der Ölriese Exxon betreibt eigene Klimaforschungsprojekte und sagt 1981 in einem "CO₂-Positionspapier" voraus, dass die erwartete Verdopplung der CO₂-Konzentration in den nächsten hundert Jahren zu einem globalen Temperaturanstieg von drei Grad Celsius führen wird.
Anstatt aber in die Zukunft zu investieren und den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, pumpt das Unternehmen ab Ende der achtziger Jahre zusammen mit anderen Ölfirmen Milliarden von Dollar in politische Kampagnen. Deren Ziel: den in der Bevölkerung herrschenden Konsens über den menschlichen Ursprung des Klimawandels und die Notwendigkeit sofortiger Maßnahmen zu zerstören – mittels gezielter Desinformation.
Als Reaktion auf die Gründung der internationalen Klimaorganisation IPCC beteiligt sich Exxon 1988 am Aufbau einer Gegenorganisation: der Global Climate Coalition, eines Zusammenschlusses von Lobbyisten, die unter Verschleierung ihrer Geldgeber klimaskeptische Desinformation betreiben. Wie die aussieht, zeigt der Global Climate Science Communications Plan, den Exxon mit dem American Petroleum Institute 1998 ausarbeitet.
Unter der Überschrift "Victory Will Be Achieved When ..." heißt es, die Öffentlichkeit und die Medien müssten von "Unsicherheiten" in der Klimawissenschaft überzeugt und diejenigen, die dann noch Klimaschutzmaßnahmen verteidigen, als "abgehoben von der Realität" dargestellt werden. Flankiert wird dieser Plan durch den Aufbau von Thinktanks und pseudowissenschaftlichen Instituten, in denen Akademiker, die klimaskeptische Positionen vertreten, in Kommunikationsarbeit geschult werden, um sich in mediale Debatten einzuschalten. Allein in der New York Timesveröffentlichen Exxon und der Nachfolgekonzern Exxon Mobil bis in die letzten Jahre über 36 Advertorials, die die wissenschaftliche Grundlage der Klimapolitik infrage stellen.
Gezielte Desinformation
Es ist, kurz gesagt, das Programm einer medial vermitteltenScheinrealität. Besonders erfolgreich ist dabei das Imperium des Medientycoons Rupert Murdoch. Mit dem Wall Street Journal und diversen anderen Print-Erzeugnissen, mit dem TV-Sender Fox News und Dutzenden Kommentatoren aus lokalen Radiostationen entwickelt sich die wohl erste Echokammer der modernen Kommunikationsgesellschaft. Dort geben sich die Pseudoexperten der mit Petrodollars geschmierten Thinktanks die Klinke in die Hand. Ein Klimaleugner, der im Wall Street Journal interviewt wird, kann mit einer Einladung zu Fox News rechnen, die ganz sicher einen positiven Kommentar im örtlichen Radio nach sich ziehen wird: Klimaleugnung auf allen Kanälen.
Dass diese Strategie erfolgreich ist, hat auch mit der Schwäche der liberalen Öffentlichkeit zu tun. Sie ahnt nichts vom Informationskrieg, der über sie hereingebrochen ist. Während man bei Fox News auf Klimaleugnung geschaltet hat, meint man von der New York Times über die Washington Post bis hin zu CNN, "ausgewogen" berichten zu müssen, und lässt auch die Protagonisten der Desinformationskampagnen ausführlich zu Wort kommen. Das Ergebnis ist eine katastrophale Verzerrung. Für den Zeitraum von 1993 bis 2003 hat die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes, Autorin des bahnbrechenden Buches Merchants of Doubt (auf Deutsch Die Machiavellis der Wissenschaft),unter 928 Publikationen in Fachzeitschriften zum Schlüsselwort "globale Klimaveränderung" nicht eine einzige Veröffentlichung gefunden, die sich gegen die Erkenntnis von der menschlich verursachten Erderwärmung wandte. In den Zeitungen und im Fernsehen taucht dieser Standpunkt in einem vergleichbaren Zeitraum in jedem zweiten Beitrag auf.
Die ideologische Aufladung des Themas
Die Klimaleugner haben einen Keil zwischen Wissenschaft und Medien getrieben. Das heißt: Sie haben die amerikanische Gesellschaft in der wichtigsten Frage der Gegenwart gespalten. Mit verheerenden Auswirkungen: Die Regierungen von Ronald Reagan und anfangs auch George H. W. Bush versuchten noch, die internationale Führungsrolle in der Bekämpfung des Klimawandels zu übernehmen ("Wir können einfach nicht abwarten – der Preis der Untätigkeit wird zu hoch sein", heißt es 1989 im State Department). Heute hingegen glauben einer aktuellen Studie des Pew Research Center zufolge weniger als 16 Prozent der Wähler der Republikaner, dass es einen starken wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel gibt.
Dieser schon in den neunziger Jahren einsetzende Meinungsumschwung trägt entscheidend dazu bei, dass die USA dem 1998 in Kyoto beschlossenen Klimaabkommen nicht beitreten. Auch der folgende Klimagipfel 2009 in Kopenhagen scheitert. Kurz zuvor hat der Informationskrieg mit "Climategate" einen neuen Höhepunkt erreicht. Unbekannte Hacker ergaunern sich Zugang zu den E-Mails führender Klimawissenschaftler der University of East Anglia, rechte Kommunikationsstrategen rufen geballt einen Wissenschaftsskandal aus, es seien Daten manipuliert und abweichende Untersuchungsergebnisse unterdrückt worden. Obwohl unabhängige Untersuchungen der E-Mails keinen Anhaltspunkt für unwissenschaftliches Arbeiten feststellen können, geben nach dem vermeintlichen Skandal in Umfragen über 50 Prozent der befragten Amerikaner an, Climategate habe ihr Vertrauen in die Klimawissenschaft erschüttert.
Besonders beunruhigend ist die ideologische Aufladung des Themas. Nachdem seit 1989 die Systemkonkurrenz mit dem Kommunismus passé ist, erkennt ein Teil der Republikaner den neuen Gegner im Innern. Jetzt heißt es: Green is the new red. Hinter den Klimaschutzforderungen stünden in Wahrheit Öko-Sozialisten, die das Land über die CO₂-Verringerung zu Tode regulieren und ihre Umverteilungsfantasien zugunsten des globalen Südens durchsetzen wollten. Das Gegenprogramm dazu lautet: America first! Es ist der Schulterschluss der Ölindustrie mit den marktradikalen und rechtsnationalistischen Kräften, aus denen der ultrakonservative Republikaner-Flügel der Tea Party und Trump hervorgehen werden.
Es geht um Kapital
Tatsächlich hat der heutige Rechtsnationalismus seine Wurzeln ganz und gar in den Desinformationskampagnen der Klimaleugner. Er nutzt dieselben Strategien und Waffen, die im Kampf gegen Klimaschutzmaßnahmen geschmiedet wurden. Selbst die Akteure sind häufig dieselben. Alles wiederholt sich. Vieles als Farce: Nachdem die Klimaleugner mit der Klimawissenschaft auch gleich das wissenschaftliche Weltbild entsorgt haben und damit die Basis des demokratischen Diskurses, kann man nun behaupten, was man will. Zum Beispiel, dass Obama in Wahrheit ein Muslim sei oder Hillary Clinton einen Kinderporno-Ring betreibe ("Pizzagate").
Neu ist allerdings die Ausweitung, Perfektionierung und Intensivierung des Informationskriegs seit Ende der nuller Jahre. Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen die Aktivität Russlands; zum anderen den Aufstieg von Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter zu neuen Massenmedien, die den direkten Zugang zum beeinflussbaren Individuum ermöglichen. Für marktradikale, klimaleugnende, rechtsnationalistische Kräfte ist das ein unverhoffter Segen. Die alte Öffentlichkeit war durch Medien strukturiert, die, wie unvollkommen auch immer, zwischen Informationsquellen und der Öffentlichkeit vermittelten und als eine Säule der Demokratie fungierten. Mit Facebook, Twitter und YouTube, die weitgehend auf redaktionelle Haltung verzichten (mit Ausnahme von Nacktbild-Zensur), entsteht eine neue, unregulierte Öffentlichkeit, in der allein Marktgesetze herrschen. Wer am meisten Kapital einsetzen kann, hat die größten Chancen, den Markt für sich zu nutzen.
Hinzu kommt, dass der direkte Zugang zum Individuum – eigentlich eine rein technische Angelegenheit – ideologisch ausgeschlachtet wird. Dank der neuen Online-Welten können die Rechtsnationalisten den Anschein erwecken, dass die traditionellen Medien bloß einer korrupten Elite das Wort redeten, während sie selbst unmittelbarer Ausdruck des Volkswillens seien. Auf diese Weise erreichen Fake-News und Schmierkampagnen im Internet heute ungefiltert mehr Menschen, als es etablierte Printmedien je getan haben.
Die Ausschaltung der traditionellen Medien ist aber nur eine Seite der digitalen Revolution. Nicht weniger wichtig ist, dass in den sozialen Medien die Empfänger von Nachrichten auch zu Sendern werden. Und weil man meist das sendet, was man bekommen hat, bilden sich in diesem Prozess Echokammern in Reinform aus. Wie vormals die Pseudowissenschaft der Klimaleugner durch Rückkopplungseffekte zwischen Thinktanks und den TV-Kanälen, Zeitungen und Radiostationen des Murdoch-Imperiums zu imposanter Größe anschwoll, so bekommen nun die Insassen der Echokammern durch Rückkopplung einer einmal eingespeisten Fake-Information den Eindruck, Teil einer großen Bewegung zu sein. Das heißt, geschickt platzierte und durch Computerprogramme multiplizierte Propaganda im Netz beeinflusst das Individuum dort, wo es am empfindlichsten ist – bei seinem Gefühl für soziale Normen, Tabus und Gruppenzugehörigkeit.
Für einen Informationskrieg sind das goldene Zeiten: Noch nie war es leichter, Stimmungen zu beeinflussen – und noch nie besaßen Interessengruppen mehr Geld, dies zu tun.
Was steht für Russland auf dem Spiel?
Die mächtigste Interessengruppe in diesem Informationskrieg ist nach wie vor die fossile Industrie. Sie finanziert nicht nur die Klimaleugnung, sondern auch den aus ihr entwachsenen Rechtsnationalismus. Dazu ein paar Zahlen: Allein 2015 gaben Shell und Exxon Mobil zusammen mit den großen Öl-Handelsassoziationen mehr als hundert Millionen Dollar für Lobbyarbeit gegen Klimagesetzgebung aus. Die Koch-Brüder – Besitzer des fossilen Koch-Imperiums und eines geschätzten Vermögens von 100 Milliarden Dollar – sollen in den letzten Jahren 400 Millionen Dollar investiert haben, um klimaskeptische Propaganda und rechte Meinungen zu verbreiten. Ihr Gebernetzwerk hatte 2016 ein Budget von sagenhaften 889 Millionen Dollar, um die Republikaner unter anderem mit PR und data-driven technology zu unterstützen. Im Internet existieren Tausende von Propaganda-Websites, Videos und Social-Media-Accounts, die den Klimawandel leugnen und die Wissenschaft in den Schmutz ziehen, meist mit dem Geld der fossilen Industrie.
Als wäre das nicht genug, ist vor einigen Jahren Russland in den Informationskrieg eingetreten. Die fossile Supermacht verfügt zusammengenommen über die größten Kohle-, Öl- und Gasreserven der Welt. Zurzeit macht fossile Energie zwei Drittel des russischen Exports aus. Nichts würde die Interessen des Landes stärker bedrohen als weitreichende Klimaschutzmaßnahmen und ein damit einhergehender fallender Ölpreis. Tatsächlich zeichnet sich neuerdings eine Konvergenz zwischen amerikanischen und russischen Interessen ab, eine fossile Koalition, die zum gemeinsamen Kampf gegen die liberale Klimabewegung und die Demokratie bläst.
Für Russland ist es ein Kampf mit Waffen, die bereits zu Sowjetzeiten erprobt wurden. Eins der Hauptfelder des KGB war jahrzehntelangdesinformazia – man brachte zum Beispiel das Gerücht in Umlauf, das HI-Virus sei eine Entwicklung der CIA. Nachdem die Desinformationsmaschinerie mit der Auflösung der Sowjetunion für einige Jahre ihre Daseinsberechtigung verloren hatte, kommt Russland Ende der nuller Jahre wieder auf den Geschmack, den Westen mit Propaganda zu überziehen.
Die Macht der Medienmanipulation
Einer der Vordenker der neuen Propaganda ist Anatoly Tsyganok, ein einflussreicher Moskauer Militärstratege. Vor dem Hintergrund seiner Analyse, dass im 21. Jahrhundert womöglich keine großen Armeen aufeinanderprallen werden, sondern Guerilla-Operationen und Cyberkriege an Bedeutung gewinnen, schreibt er 2008, russische "Informationstruppen" müssten dafür ausgebildet werden, "Propaganda, Desinformation und Kooperationen mit internationalen Medien zu betreiben". Ein Jahr später hat man bei Russia Today TV umgeschaltet: Aus einem harmlosen Sender, der 2005 gegründet wurde, um die schönen Seiten Russlands zu zeigen, ist ein Kampfkanal geworden, der die offene Gesellschaft des Westens unter Beschuss nimmt. 2013 überschreitet RT, wie er nun heißt, als erster Informationskanal auf YouTube die Grenze von einer Milliarde Views.
Ein 2011 in Russland publiziertes Handbuch mit dem Titel Information-Psychological War Operations: A Short Encyclopedia and Reference Guide für angehende Informationskrieger erläutert, dass Informationswaffen ähnlich einer "unsichtbaren Strahlung" wirken: "Die Bevölkerung merkt nicht einmal, dass auf sie eingewirkt wird, darum aktiviert der Staat auch nicht seine Mechanismen der Selbstverteidigung." Man kann rückblickend sagen, dass in diesem Handbuch auch das Drehbuch der letzten Jahre steckt – und dass erst im US-Wahlkampf und mit dem Sieg Donald Trumps die "unsichtbare Strahlung" russischer Medienmanipulation erkennbar und in ihrem Ausmaß abschätzbar wird.
Laut Mark Warner, dem führenden Demokraten im Geheimdienstausschuss des US-Senats, kämpften nicht weniger als 1.000 bezahlte Internet-Trolle aus russischen Einrichtungen im amerikanischen Wahlkampf und entfachten eine Gegenöffentlichkeit, die es ohne sie nie gegeben hätte. Dabei ist der Vorgang meist simpel: Polarisierende Texte und Bilder werden ins Netz gestellt – zum Beispiel"Stop Islamization of Texas" –, und dann wird mit oft automatisierten Retweets, Views und Likes suggeriert, dass eine breite Masse der Bevölkerung hinter den Inhalten steht.
Auf Twitter veröffentlichten die russischen Propagandisten 1,4 Millionen Tweets mittels 2.752 menschlich gesteuerter Accounts und 36.000 Bots. Auf Facebook und Instagram erreichten ihre Inhalte knapp 150 Millionen Amerikaner. Bei Google wurden Webseiten und Fake-News millionenfach auf Platz eins der Suchergebnisse gedrückt. Auf YouTube veröffentlichten russische Informationskrieger 1108 Propagandavideos mit 43 Stunden Inhalt. Allein das Video How 100% of the 2015 Clintons’ charity went to themselves von RT wurde mehr als neun Millionen Mal geklickt. Und der Geheimdienstausschuss fürchtet, dass dies "nur die Spitze des Eisbergs" ist.
Russland hat seine Tätigkeit nicht auf die USA beschränkt, sondern mit denselben Mitteln auch die europäischen Rechtsnationalisten und Klimaleugner unterstützt und sich in europäische Wahlen eingemischt, vom Brexit bis hin zum Referendum über die katalanische Unabhängigkeit, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Den bislang größten Sieg im Informationskrieg hat das Land natürlich mit dem Hacking der E-Mails von Demokraten im US-Wahlkampf und dem folgenden vermeintlichen Skandal um Hillary Clinton erfochten. Das Muster gaben die 2009 erfolgten Hacks ab, die zu Climategate führten. Die Daten wurden damals zuerst auf einem russischen Server hochgeladen, es war, aller Wahrscheinlichkeit nach, der erste Streich im russischen Informationskrieg.
Es wird Zeit für ein Heer von Aufklärern
Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich geht es hier nicht nur um einen medialen Spuk. Natürlich steht hinter jedem medialen Spuk ein mehr oder minder handfestes politisches Unbehagen bei denen, die an diesen Spuk glauben. Natürlich hat der Rechtspopulismus eine politische Grundlage. Nur: Wie sich ein politisches Unbehagen in der Gesellschaft äußert, in welche Bahnen es kanalisiert wird, ob es sich konstruktiv oder rein destruktiv äußert, das ist weitgehend eine Frage des medialen Umgangs mit diesem Unbehagen. Daher ist die Gesamtlage für die offene Gesellschaft äußerst brisant. Sie hat es mit Rechtsnationalisten und Klimaleugnern zu tun, die in ihrem Kampf gegen das wissenschaftliche Weltbild und die liberalen Medien auf die nahezu unendlichen finanziellen Reserven der fossilen Industrien in Russland und den USA zurückgreifen können. Die offene Gesellschaft ist in einen Zweifrontenkrieg geraten.
Wie kommt man aus der Einkesselung heraus?
Indem die Dramatik der Situation erkannt wird, auch von der Politik. Der viel beschworene Cyberkrieg ist längst im Gange. Geführt wird er nicht nur mit Computerviren und Hackerangriffen in der militärischen Geosphäre – etwa nach dem Modell des Angriffs durch den Computerwurm Stuxnet, mit dem 2010 die Infrastruktur des iranischen Atomprogramms sabotiert wurde. Er spielt sich in der Psychosphäre ab – als Angriff auf die Infrastruktur der Vernunft. Darauf müsste der Staat mit einer Finanzierung und Professionalisierung der Zivilgesellschaft, mit einem Heer von Aufklärern reagieren, die Fake-News enttarnen und es mit den Troll-Armeen der fossilen Propagandisten aufnehmen können.
Der wichtigste Schritt: eine Energiewende vorantreiben
In einem weiteren Schritt wäre Aufklärung wichtig, die den Bürgern in Zukunft ermöglichte, Fake-News zu erkennen. Allerdings sollte man nicht verkennen, dass die mediale Manipulation tiefer geht, unterhalb des Wissens ansetzt. Dass Echokammern nicht bloß aufgrund von Bildungslücken entstehen, sondern über Gefühlsansteckung und Identitätsangebote. Wenn es also etwas zu bilden gibt, dann liberale Netz-Kampagnen, die dem Individuum ein attraktiveres Angebot als die Hetz-Communities machen: nämlich Teil einer weitaus größeren und schöneren Bewegung zu sein. Was sich bilden sollte, ist ein Aufstand der Zivilgesellschaft in den sozialen Medien, bis hinein in die Kommentare unter Online-Artikeln, die zurzeit oftmals von den rechten Propagandisten gekapert werden.
Der dritte Schritt betrifft die sozialen Medien selbst. Wenn Netzwerke wie Facebook und Twitter eine neue Form von Öffentlichkeit darstellen, dann müssen diese Unternehmen auch Verantwortung für sie tragen. Nur eindeutig rassistische Hetze oder drastischste Aufrufe zu Gewalt zu unterbinden reicht nicht mehr. Sie müssten sich zu einem journalistischen Ethos bekennen und redaktionelle Standards implementieren, von Faktenchecks bis zur Quellenforschung. In einem vierten Schritt müsste man mit den Rechtsnationalisten und Klimaleugnern finanziell gleichziehen. Donald Trump wird von Online-Medien wie Breitbart News unterstützt, ein Nachrichtenportal, das der rechtsradikale Milliardär Robert Mercer aus dem Boden gestampft hat. Die amerikanischen Zeitungen haben hingegen zwischen 2001 and 2016 die Hälfte ihrer Mitarbeiter und 70 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt. Es ist gut und notwendig, dass Philanthropen Millionen von Dollar in Malarianetze und andere Formen der Bekämpfung globaler Gesundheitsgefahren stecken. Doch könnten sie nicht zugleich in die Kommunikationsnetze der offenen Gesellschaft investieren?
Der letzte und wichtigste Schritt aber bleibt: weltweit die Energiewendevorantreiben. Sie dreht der fossilen Industrie, den Rechtsnationalisten und Klimaleugnern den Geldhahn zu. Dies könnte schneller gehen, als es den alten Eliten lieb sein kann. Einen Nachruf auf das fossile Zeitalter und seine letzte Blüte, den fossil geschmierten Informationskrieg, sollten seriöse Medienhäuser schon mal in Auftrag geben.