In geschlossenen Facebook-Gruppen hetzen Rechte gegen Flüchtlinge und Juden, leugnen den Holocaust, warnen vor einer „muslimischen Invasion“, rufen zum Mord an Politikern auf. Auch die Namen von AfD-Politikern tauchen in den Foren auf.
VON ALEXANDER DAVYDOV
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schwarzen Haaren und freundlichen braunen Augen lächelt sanft auf dem Foto. Unter der dick gefütterten schwarzen Jacke schaut ein sauber gebügelter blauer Hemdkragen hervor. Das Bild, das ohne sein Wissen in der Facebook-Gruppe „Aufwachen......es ist kurz vor Zwölf!“ geteilt wurde, trägt die Bezeichnung: „Neu... bei der Berliner Polizei…“
Was der Administrator, ein gewisser Dirk B., damit bezweckt, wird kurz darauf ersichtlich. In einer Vielzahl von insgesamt mehr als hundert Kommentaren wird der junge Polizist entwertet: Kotzende Emojis werden gepostet, Bilder von Kindersoldaten, das Foto eines Affen und immer wieder Ausrufe wie „Armes Deutschland“. Eine Abbildung zeigt einen Totenkopf mit Wehrmachtshelm. Sie trägt die Aufschrift, es sei Zeit, die alten Geister wieder zu rufen. Die Botschaft ist klar: Wer einem bestimmten Phänotyp angehört, kann kein echter Deutscher sein, sondern nur ein Muslim, ein religiöser Fanatiker oder krimineller Ausländer. Eine Aufforderung zur Mäßigung der Hasskommentare erfolgt nicht.
In „Aufwachen......es ist kurz vor Zwölf!“ werden solche Reaktionen toleriert, sogar gezielt provoziert. Die private Facebook-Gruppe mit mehr als 19.000 Mitgliedern ist öffentlichen Einblicken entzogen. Reinkommen kann man, wenn man eine Einladung akzeptiert oder auf eigene Initiative hin eintritt. Erst dann offenbaren sich die Inhalte. Schon die Information zur Gruppe zeigt jedoch deutlich, welcher Ton hier vorherrscht. Dort steht: „Deutschland ist das Herz von Europa und immer noch besetzt. Wie lange noch?“
Administrator Dirk B. und zahlreiche Mitglieder teilen Nachrichten, Blogeinträge, Videos oder Bilder und lenken einen einseitigen Diskurs. Als Themenschwerpunkte dienen dabei die Migrationskrise, die deutsche Identität oder die als verfehlt angesehene Politik der sogenannten „Altparteien“. Es geht um die Furcht vor einer angeblichen Invasion durch muslimische Horden, die Gefahr einer „Umvolkung der Deutschen“ und die Kritik an einer vermeintlich fremden Besatzung Deutschlands – wahlweise durch finstere amerikanische oder jüdische Kräfte. Ängste werden geschürt, indem etwa Bundeskanzlerin Angela Merkels Neujahresansprache willkürlich interpretiert oder ins Groteske überzeichnet wird. „Die Volksmörderin fordert Zusammenhalt?“, fragt eine Nutzerin. Ein anderer legt nach: „In Wirklichkeit war sie im Keller und schaute ihrem Ehemann beim Vergewaltigen von so Kleinkindern zu.“
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In einem von Dirk B. geteilten Bericht von Anonymous.ru wird die Kanzlerin des Mordes am eigenen Volk bezichtigt. Die Kommentare der Nutzer überbieten sich in Beschimpfungen und gipfeln in einem offenen Aufruf zur Hinrichtung. Gleich mehrere unterstreichen ihre Abneigung, indem sie Merkel als Jüdin darstellen. Offenbar soll das eine Abwertung sein.
Plattform für rechtsextreme Entrüstung
Eine andere Meldung zur Verurteilung der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck dient als Plattform für weitere, teilweise rechtsextreme Entrüstung. Die alte Dame sage ja nur ihre Meinung, man solle lieber die richtigen Verbrecher verurteilen wie beispielsweise Politiker oder muslimische Migranten, heißt es dort. Die Empörung schaukelt sich schließlich so weit hoch, dass einige sogar Haverbecks Äußerungen in Schutz nehmen und ihrerseits die Verbrechen der Nationalsozialisten relativieren. Ein Mitglied der Gruppe kommentiert den Artikel mit dem Bild eines Mannes, der unter einen Sessel schaut.
Die Überschrift lautet: Auf der Suche nach den sechs Millionen. Darunter folgt ein Bild, das auf den angeblich wahren Holocaust verweisen soll. Es handelt sich um die toten Deutschen auf den Rheinwiesenlagern, jenen Gefangenenlagern, die die Siegermächte am Ende des Zweiten Weltkriegs entlang des Rheins betrieben, um deutsche Kriegsgefangene vorübergehend festzuhalten. Weitere Kommentare, die den Genozid an den Juden herunterspielen sollen, greifen dafür auf angeblich vertrauliche Quellen und Aufzeichnungen von Rudolf Germar oder Ernst Zündel zurück – beide sind verurteilte Neonazis.
Auch Administrator Dirk B. teilt Beiträge, die bereits im Titel den Holocaust als Lüge bezeichnen. Viele in dieser Gruppe tragen eine geballte Wut in sich, Wut auf soziale Ungerechtigkeiten, Wut auf die amtierende Regierung. Ungestört von liberalen Einflüssen soll innerhalb dieses abgeriegelten Habitats das rechte Weltbild aufrechterhalten werden. Und dieses soll komplexe Zusammenhänge zur Politik und Gesellschaft möglichst einfach erklären. In der geschlossenen Gruppe sehen sie eine geeignete Plattform dafür, sich Luft zu machen. Endlich einmal soll das gesagt werden können, was anderswo angeblich von „Gutmenschen“ geächtet, zensiert oder juristisch belangt würde. In der Anonymität einer geschlossenen Facebook-Gruppe aber fühlen sie sich anscheinend in Sicherheit. Auf eine anonyme Nachfrage auf Facebook schreibt Dirk B., er sei mit seiner Arbeit und der der anderen Administratoren zufrieden. „Wir bekommen auch mit, wie es in anderen Gruppen abgeht“, so B.
Menschenverachtende Beiträge
Genau in diesem Umfeld operieren auch Politiker der AfD für ihre Partei. So verbreitet der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Sachsen Anhalt, Oliver Kirchner, auf Facebook gleich mehrere seiner Reden. Eine davon trägt die Überschrift ,,Multikulturelle Träumereien des politischen Korrektheitsgeschwaders stoppen!“ Kirchner lehnt nach eigener Angabe menschenverachtende Beiträge entschieden ab. In seinem politischen Handeln sei erkennbar, dass er sich „dem Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit immer entgegenstelle“. Auf FAZ.NET-Anfrage verteidigt dann aber seine Aktivitäten in der Gruppe. In seiner Arbeit sehe er eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit objektiv über die Inhalte der AfD zu informieren. Neben Kirchner verbreitet auch Andrea Zürcher von der AfD Baden-Württemberg wiederholt Poster der Partei mit Parolen wie „Die Ära Merkel geht zu Ende“ oder „Lebensgefährliches Staatsversagen. Der Import der falschen Söhne!“
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Solche geschlossenen Versammlungen sind kein Einzelfall. So ist Zürcher gleichzeitig auch Administratorin der Gruppe „Club 3 Kornblume Deutschland und Österreich die Heimat Patrioten 2016“ mit mehr als 26.000 Mitgliedern – darunter auch Kirchner. Auch hier finden sich rechtsextreme Äußerungen. So wirft einer der Administratoren, Karl M, der ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, vor, das deutsche Nationalbewusstsein im Keim ersticken zu wollen. Darunter finden sich Kommentare wie „Und Hitler hatte keine Juden vergast, nur Euch Zionisten Ihr Schweine seid in ganz Europa.“ In einem anderen Beitrag hinterfragt der selbe Administrator die Existenz der Gaskammern in Auschwitz. Dafür werden zwei Bilder von schweren Stahltüren gegenübergestellt. Eines soll dabei eine funktionierende amerikanische Todeszelle in Nevada zeigen, das andere ist ironisch in Anführungszeichen gekennzeichnet als „,Gaskammertür' in Auschwitz“.
In der Gruppe sind auch der parlamentarische Geschäftsführer der Berliner AfD-Fraktion, Frank-Christian Hansel, und die beiden Bundestagsabgeordneten Stefan Keuter und Gunnar Norbert Lindemann aktive Mitglieder. So kommentiert Keuter einen von ihm geteilten Artikel der „Bild“-Zeitung über Missstände an einer Berliner Polizeiakademie mit den Worten: „Werden wir bald eine kriminelle, respektlose und korrupte Polizei haben mit Beamten, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen?“ Lindemann wiederum teilt Inhalte des AfD Bezirksverbands Marzahn-Hellersdorf, unter anderem auch in der Gruppe „Zusammen für Deutschland“, in der der Holocaust ebenfalls mehrfach als Lüge bezeichnet wird.
Über die Kommentare lässt sich in „Club 3 Kornblume Deutschland und Österreich die Heimat Patrioten 2016“ keine ablehnende Haltung der Politiker gegenüber den menschenverachtenden Inhalten erkennen. Während sich Keuter zum Thema nicht äußert, erklärt Hansel, er habe eine höhere Reichweite für seine Überzeugungen in der Gruppe erzielen wollen. Wegen bestimmter Kommentare, die er ablehne, habe das aber einen negativen Beigeschmack für ihn. Deswegen habe er die Gruppe mittlerweile verlassen. Gleiches gilt für Andrea Zürcher. Gegenüber FAZ.NET gibt sie an, sie sei ohne ihr Wissen zum Administrator ernannt worden und sei dies mittlerweile nicht mehr. Sie nutze die Gruppe lediglich als Plattform für Werbung für ihre Partei. „Für die Inhalte in anderen Gruppen bin ich nicht verantwortlich,“ so Zürcher.
„Keine Zeit, das gesamte Internet zu überwachen“
Auch der AfD-Politiker und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Gunnar Norbert Lindemann rechtfertigt seine Aktivitäten auf Facebook und gibt an, für Veröffentlichungen anderer Personen „nicht verantwortlich“ zu sein. „Hass, Gewaltaufrufe und Holocaustleugnung dulde ich nicht auf meinen Seiten“, erklärt Lindemann gegenüber FAZ.NET. Solche Posts würden von ihm „nach Bekanntwerden umgehend gelöscht“. Und: „Als Abgeordneter ist es nicht meine Aufgabe und ich habe auch nicht die Zeit und Kapazitäten, das gesamte Internet auf mögliche strafrechtlich relevante Beiträge Dritter zu überwachen.“
Da Facebook aber auf eine Selbstregulierung durch die Nutzer setzt, bleiben diese solange bestehen, bis sie von jemandem gemeldet oder vom Verfasser selbst gelöscht werden. Wenig später sind die von Lindemann geteilten Meldungen auch nicht mehr zu finden. Seine Mitgliedschaft in dieser und weiteren ähnlichen Gruppen aber bleibt bestehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD in solchen geschlossenen virtuellen Versammlungen auffällt. Bereits im November 2017 berichtete die Zeitung „Tagesspiegel“ über die Beteiligung mehrerer Politiker in der Gruppe „Die Patrioten“, in der rechtsextreme Inhalte verbreitet wurden. Einer der Beteiligten: Gunnar Norbert Lindemann. Damals riet der Landesvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt André Poggenburg den Abgeordneten in seiner Fraktion, solche Gruppen zu verlassen.
Trotzdem blieb der sachsen-anhaltinische AfD-Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner in der Gruppe „Aufwachen….Es ist kurz vor 12!“ ein aktives Mitglied. Gegen diese Gruppe hat die Polizei mittlerweile ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet – wegen des Fotos eines ihrer Beamten, das für Beleidigungen missbraucht wurde. Denn wie der Pressesprecher der Berliner Polizei, Winfrid Wenzel, versichert: Auch geschlossene Nutzergruppen seien kein Freibrief für Rechtsbrüche.