Der Kea gehört zu den intelligentesten Vögeln der Welt. Und ist zudem selbst ein begeisterter Forscher – womit er sich nicht beliebter macht. Denn die Lieblingsobjekte der Hochbegabten sind, ausgerechnet, Menschen und ihr Besitz
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Irgendwo in den unwegsamen Bergen Neuseelands liegt ein Brustbeutel mit umgerechnet 750 Euro. Er wurde am 30. Januar 2013 aus einem Wohnmobil gestohlen, das bei Arthur’s Pass am Highway 73 geparkt war. Augenzeugen beobachteten, wie der Dieb durch das geöffnete Seitenfenster eindrang und mit der Beute über alle Berge floh. Der Bestohlene verständigte die Polizei, immerhin handelte es sich bei dem Raubgut um den Großteil seines Urlaubsbudgets. Die Beamten überzeugten ihn jedoch schnell von der Zwecklosigkeit jeder Verfolgungsmaßnahme: Selbst eine sofort eingesetzte Hubschrauberstaffel hätte den Täter nicht einholen können. Keas sind ausgezeichnete Flieger. Sie sind überhaupt vielseitig begabt. Das schafft manchmal Probleme – für die Menschen, die ihren Weg kreuzen. Aber vor allem für sie selbst.
Neuseeländer sind stolz auf die reiche Vogelwelt ihres Landes. Auf Kiwi, Kakapo, Takahe, Tui, Hihi und rund 70 weitere Arten mit klangvollen Maori-Namen und oft kuriosem Äußeren, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Auch der Kea ist ein Unikum; der weltweit einzige Papagei, der ganzjährig im Hochgebirge zu Hause ist. Ein schöner, markanter Vogel mit schillernd olivgrünem Gefieder, das orangerot aufleuchtet, wenn er die Flügel ausbreitet. Intelligent ist er, neugierig und zutraulich, außerdem, wie viele Tierarten Neuseelands, in seinem Bestand chronisch gefährdet.
Der Kea gehört zu den unbeliebtesten Tieren Neuseelands
Eigentlich hätte der Kea beste Voraussetzungen, neben dem Kiwi eine nationale Ikone seiner Heimat zu werden. Tatsächlich aber gehört er zu den unbeliebtesten Tieren Neuseelands. Und das nicht ohne Grund. Die Anklage lautet: Diebstahl, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, nächtliche Ruhestörung, Vandalismus, sogar Körperverletzung mit Todesfolge. All diese Delikte haben Keas nachweislich begangen, vor Augenzeugen und sogar vor laufenden Kameras, nicht nur einmal, sondern wiederholt.
Aus kriminalistischer Sicht, und in den Augen der meisten Neuseeländer, sind Keas unverbesserliche Intensivtäter. Sie plündern Rucksäcke von Touristen, öffnen Reißverschlüsse von Zelten, dringen durch Katzenklappen in Häuser ein. Dabei lassen sie nicht nur Essbares, sondern manchmal auch Papier oder anderes Spielmaterial mitgehen, das sie anschließend zerfetzen. Sie haben überhaupt Freude daran, Dinge zu zerstören.
Sie klauben Dichtungen aus Autofenstern, hebeln Radkappen ab, zerlegen Motorradsitze so gründlich, bis am Ende nur noch ein Haufen Schaumgummikrümel übrig ist. Manchmal scheint es, als wollten sie Menschen gezielt provozieren. Einige Vögel wurden beobachtet, wie sie nachts Rutschpartien auf vereisten Berghüttendächern veranstalteten – so lange, bis ein übermüdeter Wanderer vor die Tür trat. Andere Keas bewarfen Touristen gezielt mit Steinen, sodass ein beliebter Bergpfad zeitweise gesperrt werden musste.
Körperverletzung mit Todesfolge: Keas als Schaf-Killer
All das würden ihnen die Neuseeländer womöglich nachsehen – wäre da nicht ein Kapitaldelikt, das vor allem die Farmer erbittert, weil es auf eines der wichtigsten Wirtschaftsgüter des Landes zielt. Keas greifen immer wieder Schafe an, auf eine Weise, die selbst Vogelfreunde schaudern lässt. Sie krallen sich auf dem Rücken der wolligen Tiere fest und hacken so lange auf sie ein, bis das Fleisch zutage tritt. Die Schafe sterben meist nicht sofort an den Verletzungen, sondern gehen durch nachfolgende Infektionen elend zugrunde. Wegen dieser Attacken wurden Keas über 100 Jahre lang unerbittlich verfolgt. Bis 1970 war die Papageienjagd sogar eine der einträglichsten Tätigkeiten für Neuseeländer, weil die Regierung hohe Kopfprämien für jedes erlegte Tier zahlte. Zwar wurden Keas 1986 vollständig unter Schutz gestellt. Doch in den Augen vieler Schafzüchter gelten sie nach wie vor als Schädlinge; es kommt immer wieder zu illegalen Abschüssen.
Dieser Text ist eine gekürzte Version.
Autor: Johanna Romberg