VON CHRISTIAN GEYER
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Die Massentierhaltung gehört verboten. Wenn die Grünen sich bei der Jamaika-Sondierung nicht durchsetzten, wäre das eine Schande.
Bei diesem Thema geht es nicht ohne Drastik ab, dieses Thema ist ganz Drastik, und wehe, wenn es uns einfiele, über die Massentierhaltung anders als drastisch zu sprechen. Allein dass dieses Thema uns 2017 in diesem wohlhabenden Land überhaupt noch beschäftigen muss, dass nicht schon längst Schluss ist mit der qualvollen Massierung von Tierleibern, wo man das ganze Ausmaß des Elends in den auf quantitative Steigerungslogik getrimmten Zuchtbetrieben und Schlachthöfen doch inzwischen längst kennt, es sich auf sprachlos machenden Bildern anschauen, es in aufrüttelnden Büchern nachlesen kann – allein dies eben ist ein Vorgang, der an Drastik nicht zu überbieten ist, ein menschlicher Makel, geeignet, die zivilisatorische Selbstbeschreibung als Makulatur zu erweisen.
„Zusammen mit der Mehrheit der BürgerInnen und vielen LandwirtInnen wollen wir es nicht akzeptieren, dass gequälte Tiere zusammengepfercht vor sich hin vegetieren und Schmerzen leiden müssen, ohne je die Sonne zu sehen“, schreiben die Grünen in ihrem Wahlprogramm. „Wir wollen die industrielle Massentierhaltung in den nächsten 20 Jahren beenden.“ Man kann nur hoffen, dass die Unterhändler der Jamaika-Koalition diese Aussage nicht für verhandelbar halten. Der Tierschutz ist seit 15 Jahren auch verfassungsrechtlich eine Verpflichtung für alle, die in Bund, Ländern und Kommunen politisch Verantwortung tragen. Und dennoch gibt es bis heute keine Verordnung, die verbindlich regelt, wie Milchkühe und Puten zu halten sind. Da seien die Geflügel- und die Schweinelobbyisten vor.
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Man müsse erst einmal selbst Opfer von absoluter Mitleidlosigkeit geworden sein, um zu begreifen, dass sich die Würde der Kreatur nicht von selbst verstehe, schreibt David Foster Wallace in „Kurze Interviews mit fiesen Männern“. Wem so etwas, die brutale und totale Verdinglichung, noch nicht passiert sei, der werde niemals begreifen, „wie sehr es von dir abhängt, was du bist, dass du jede Sekunde deines restlichen Lebens die Wahl hast, dass du dich immer und immer wieder als Mensch denken, als Mensch erschaffen musst, da du der Einzige bist, der dich überhaupt und jederzeit und bedingungslos als Mensch sieht, obwohl du dich jederzeit auch gehen lassen könntest. Verstehst du, du kannst dich als Mensch gehen lassen. Dann geht der Mensch, und die Sache kommt.
“ In der Massentierhaltung lässt der Mensch sich auf tierische Weise gehen. Der Mensch geht, und die Sache Tier kommt. Er verzichtet dann darauf, sich als Mensch zu denken. Er betäubt sich als Mensch, trainiert die Abstumpfung, damit er das Tier als Sache denken, ausbeuten und misshandeln kann, bis es als eingeschweißtes Fleischprodukt im Handel ist.
Tierquälerei zur Gewinnmaximierung
Die amerikanische Sozialpsychologin und vegane Aktivistin Melanie Joy hebt die Selbstbetäubung als zentrale Bedingung des Systems Massentierhaltung hervor. Nicht nur, was die Schlächter angeht, sondern auch im Blick auf die Duldungsbereitschaft in Politik und Wirtschaft. In ihrem Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ schreibt Joy: „Die Betriebe, die den Großteil des Fleisches produzieren, das auf unseren Tellern landet, sind im Wesentlichen unsichtbar.
Wir sehen sie nicht. Wir sehen sie nicht, weil sie sich in abgelegenen Gegenden befinden, in die es kaum jemanden von uns verschlägt. Wir sehen sie nicht, weil wir auch dann nicht hineingelassen werden, wenn wir doch einmal vor der Tür stehen. Wir sehen sie nicht, weil ihre Lastwagen oft versiegelt und ohne Aufschrift unterwegs sind. Wir sehen sie nicht, weil wir sie nicht sehen sollen.“ Melanie Joy mache die von ihr als „Karnismus“ auch begriffsstrategisch der Normalisierung entrissene Fleischausbeutung sichtbar als das, was sie ist, schreibt Hilal Sezgin zur Einführung des Buches: „eine grausame, lebensverachtende Ideologie“.
Wer den Dokumentarfilm „The End of Meat – Eine Welt ohne Fleisch“ sieht, der derzeit noch in einigen Programmkinos läuft, kann erleben, wie Zuschauer weinend den Kinosaal verlassen – so Anfang dieser Woche in der Bonner Brotfabrik. Sie gehen schon gleich zu Beginn raus, wenn die von Joy genannten Lastwagen vor den Schlachthof fahren und Tierrechtler den bei Hitze in den Waggons eingepferchten Rindern durch die Öffnungen zu trinken geben. Was man nicht sieht, aber beständig vor Augen hat, sind die Ströme von Blut, die kurze Zeit später aus denselben Tierleibern fließen, welche jetzt noch nach Wasser gieren. Es sind Eindrücke wie diese, die den Begriff der „Menschlichkeit“ unbrauchbar machen, ihn als Synonym für mitfühlendes, barmherziges, altruistisches Verhalten diskreditieren, bemerkt Karen Duve in ihrem Buch „Anständig essen. Ein Selbstversuch“.
Darin bestimmt sie den Radius der Menschlichkeit von der gegen das Tier gerichteten Grausamkeit her. Das Verwerfliche an der Massentierhaltung sei, so Duve, „dass hierbei nicht die Haltung an die Bedürfnisse der Tiere angepasst wird, sondern die Tiere an eine offensichtlich ungeeignete Haltungsform angepasst werden, indem man sie an Hörnern, Schnäbeln oder Ringelschwänzen verstümmelt, damit man noch mehr zusammenstopfen kann. Massentierhaltung bedeutet, dass man Tieren Höchstleistungen auf Kosten ihrer Gesundheit anzüchtet. Massentierhaltung bedeutet Turbo-Futter, schlechte Gesundheit, Schmerzen, Stress, Bewegungsmangel und frühzeitiger Tod. Massentierhaltung bedeutet Tierquälerei zur Gewinnmaximierung.“ Massentierhaltung bedeutet: Menschlichkeit. Eine erschütternde Pointe, zu der im Übrigen auch Jonathan Safran Foers Bestseller „Tiere essen“ gelangt.
In einem Abwasch mit dem Tier
Es braucht ein grünes „Hier stehe ich und kann nicht anders“, wenn es im Gespräch mit der lobbyistisch hochgerüsteten CSU um Masse, Macht und Tier geht. Letzte Nachrichten zum Sondierungsstand in puncto Landwirtschaft, gestern Nachmittag von den Grünen getwittert: „Für Umweltschutz und Tierwohl stellt sich die Frage ordnungsrechtlicher und/oder finanzieller Maßnahmen. Für letzteres (Tierwohl) sind Mittel aus dem allgemeinen Haushalt denkbar oder die Überprüfung der bisherigen Agrargeldverteilung. Über all diese Punkte besteht kein Konsens. Einigkeit besteht, dass die Kosten nicht einseitig zu Lasten der Bauern gehen.“ Das hört sich noch nebulös an.
Die Drastik des Themas verblasst hinter dem neutralisierenden Vokabular des Politpokers, der in einem Abwasch mit dem Tier auch Altersarmut, Wohnungsbau und Cannabis sondiert. Seit 2002 ist der Tierschutz ein Staatsziel im Grundgesetz. Wie lange will sich der Staat noch gehen lassen?